Nio: Was die Shortseller-Attacke für Anleger bedeutet
Am Dienstag hat der Leerverkäufer Grizzly Research schwerwiegende Bilanzfälschungs-Vorwürfe gegen Nio (WKN: A2N4PB) erhoben. Trotz sofortigen Dementis des Unternehmens rutscht die Aktie in Hong Kong um -11,36% auf 165,50 HK$ ab. Wie sollen Anleger auf die Schock-Nachricht reagieren?
Nio ist ein E-Auto-Start-up im Premium-Segment, das von vielen als das chinesische Pendant des US-Branchenpioniers Tesla gesehen wird. Obwohl das Unternehmen erst 2014 gegründet wurde, belegt es bereits den 5. Platz der meistverkauften reinen E-Autos in China. An der New Yorker Börse hat der Autobauer derzeit einen Wert von knapp 31 Milliarden US$.
Schwerwiegende Vorwürfe von Grizzly Research
Schock-Meldung für Nio-Anleger: Der Shortseller Grizzly Research hat den chinesischen Autobauer am Dienstag mit einem Enthüllungs-Bericht ins Visier genommen und darin schwerwiegende Vorwürfe gegen das Unternehmen erhoben.
Die Research-Gesellschaft kommt in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass Nio seine Einnahmen und Margen durch seinen Batterie-Asset-Management-Anbieter Wuhan Weineng aufblähen würde, um die Erwartungen der Wall Street zu erfüllen.
Nettogewinn angeblich um 95% aufgebläht
Weineng wurde 2020 als Joint Venture zwischen Nio und dem chinesischen E-Auto-Batterie-Riesen CATL gegründet. Seitdem soll das Gemeinschaftsunternehmen durch „Buchhaltungs-Spielchen“ Milliardeneinnahmen für den Luxus-SUV-Hersteller generiert haben, so der Shortseller.
Weineng kassiert die monatlichen Abonnement-Einnahmen von Nio für das Batterietauschsystem und die Battery-as-a-Service-Dienstleistungen des Unternehmens. In dem Grizzly-Bericht heißt es jedoch, dass das Gemeinschaftsunternehmen die Umsätze nicht korrekt ausweisen würde.
So verbuche Weineng dem Leerverkäufer zufolge die Einnahmen sofort statt über die gesamte Laufzeit eines Abonnements. Dadurch soll Nio seine Zahlen in die Höhe getrieben haben, weil das Unternehmen Umsätze den Angaben nach um bis zu sieben Jahre vorgezogen habe.
Außerdem führte Grizzly auf, dass Weineng zum Ende des vergangenen September-Quartals mehr als doppelt so viele Batterien im Bestand hatte, wie Batterie-Abonnements gelistet waren. Auch hier kommt der Shortseller zu dem Schluss, dass Nio das Joint Venture mit zusätzlichen Batterien überschwemmt haben soll, um seine Zahlen zu steigern.
Die Auswirkungen der unterstellten Maßnahmen auf das Ergebnis von Nio sind dem Research-Haus zufolge enorm. So ist Grizzly der Ansicht, dass Nio in den neun Monaten bis September 2021 seinen Umsatz um rund 10% und seinen Nettogewinn um 95% aufgeplustert haben soll.
Um solche Machenschaften durchzuziehen, bräuchte es willige Komplizen, heißt es weiter in dem Bericht. Derartige Interessenskonflikte will Grizzly ebenfalls aufgedeckt haben. So stellt der Shortseller unter anderem fest, dass die beiden obersten Führungskräfte von Weineng gleichzeitig Vizepräsident und Battery Operating Executive Manager von Nio sind.
Kursrutsch trotz sofortigem Dementi
Nio hat unverzüglich auf den Grizzly-Bericht reagiert und die Anschuldigungen der Research-Gesellschaft vollumfänglich zurückgewiesen. In seiner Antwort sagte Nio, der Bericht sei „unbegründet und enthält zahlreiche Fehler, unbelegte Spekulationen und irreführende Schlussfolgerungen“.
Der E-Auto-Hersteller sagte auch, dass er zu gegebener Zeit zusätzliche Informationen veröffentlichen werde und eine angemessene Vorgehensweise zum Schutz der Interessen der Aktionäre erwäge.
Die schwerwiegenden Grizzly-Anschuldigungen haben Nio-Anleger dennoch merklich verängstigt: Die Aktie des Autobauers rutschte am Mittwoch an der Hongkonger Börse um -11,4% auf 165,5 HK$.
Der Auf- und Abstieg von Valeant Pharmaceuticals
In seinem Bericht vergleicht Grizzly die Beziehung von Nio und Weineng mit der vom kanadischen Pharmakonzern Valeant Pharmaceuticals (heute: Bausch Health) und Philidor, die wegen eines geheimen Geldwäsche- und Schmiergeldsystems 2018 vor Gericht überführt wurden.
Zur Erinnerung: Der Pharma-Konzern hatte durch einen Akquisitions-Rausch seine Verkaufseinnahmen innerhalb von sechs Jahren auf 8 Milliarden US$ verzehnfacht, jedoch auch einen riesigen Schuldenberg von 30 Milliarden US$ angehäuft.
Im Jahr 2015 geriet Valeant ins Visier des bekannten Leerverkäufers Citron Research, der die Beteiligung des Pharmakonzerns an Philidor aufdeckte. Diese Gesellschaft vertrieb Valeant-Medikamente, verschwieg aber die enge Beziehung zum Unternehmen und verbuchte überhöhte Umsatzerlöse mit Valeant-Medikamenten.
Die Börsenaufsicht und die Staatsanwaltschaft nahmen Untersuchungen auf. Das Ende vom Lied: Leitende Angestellte von Valeant wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, innerhalb von zwei Jahren hatten sich 90 Milliarden US$ Börsenwert in Rauch aufgelöst.
Panikverkäufe vermeiden
Angesichts der potenziell immensen Schäden für das Unternehmen und seine Aktionäre gehe ich davon aus, dass Nio derzeit mit Hochdruck daran arbeitet, die Shortseller-Vorwürfe möglichst schnell und stichhaltig zu widerlegen.
Ob die Anschuldigungen von Grizzly Research Substanz haben, vermag ich derzeit nicht einzuschätzen, weshalb für mich zunächst die Unschuldsvermutung gilt.
Mir erscheint jedenfalls absurd, dass CATL und andere finanzstarke Investoren, die 80% der Weineng-Anteile halten, Gewinneinbußen hinnehmen und Milliardenklagen in den USA und China riskieren, nur um Nio dabei zu helfen, seine Einnahmen künstlich zu steigern.
Wer bei der Aktie investiert ist, sollte Panikverkäufe daher vermeiden und darauf warten, wie sich der Fall entwickelt. Potenziellen Neueinsteigern, die eine Einstiegsgelegenheit wittern, würde ich jedoch dazu raten, sich zunächst anderweitig zu orientieren.
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