Wirecard: Darum steigt die Aktie (noch) nicht
Die Aktie von Wirecard (WKN: 747206) gehört schon seit je her zu den umstrittensten Papieren am deutschen Aktienmarkt. Dies liegt wohl auch daran, dass das Unternehmen einen recht ungewöhnlichen Weg wählte, um an die Börse zu gehen. Denn dazu nutze man seinerzeit den Börsenmantel der, am Neuen Markt wenig erfolgreichen, InfoGenie Europe. Kein Wunder, denn zu dieser Zeit stammten die Kunden noch in erster Linie aus "Schmuddelbranchen" wie dem Online Gambling bzw. dem Pornogeschäft ("Adult Entertainment").
Daher gab es in den vergangenen Jahren auch immer wieder sogenannte Short-Attacken auf das, von CEO Dr. Markus Braun, sehr erfolgreich geleitete Unternehmen. In der Regel führten diese Attacken zu kurzfristig starken Kursrückgängen, die jedoch im Laufe der Zeit wieder ausgebügelt werden konnte. So stieg die Aktie letzten Endes schließlich von einem Allzeithoch zum nächsten, bis im vergangenen Jahr (2018) dann sogar die DAX-Aufnahme folgte.
Da im Vorfeld dieser DAX-Aufnahme stark auf eine solche spekuliert wurde, erreichte die Aktie auch schon im Vorfeld dieser Entscheidung neue Allzeithochs bei rund 200 Euro. Insofern war die Verlockung die Aktie zu shorten schon sehr groß, denn zu diesen Kursen war der Titel fundamental extrem teuer. Ich gebe daher ehrlich zu, dass ich die Aktie selbst nahe dieser Höchstkurse geshortet habe, was sich ja dann auch als erfolgreich erwies.
Zunächst eine rein charttechnische Short-Spekulation...
Dabei wusste ich zu dieser Zeit natürlich nichts von bevorstehenden Attacken der "Financial Times" auf Unternehmen und Aktie. Vielmehr erwartete ich seinerzeit aus rein charttechnischer Sicht einen Rücksetzer an die langfristig führender Aufwärtstrendlinie im Bereich 125 Euro, der ja schließlich auch kam. Anschließend ging es – ebenfalls wie rein charttechnisch erwartbar – erst einmal wieder in Richtung 160 Euro nach oben.
Erst dann betrat Dan McCrum mit seinen negativen Artikeln die Bühne. Leider hatte ich zu dieser Zeit meine Spekulation schon längst beendet. Schon daraus ergibt sich, dass ich (leider) nicht über entsprechende Insiderinformationen verfügt habe. Denn schließlich hätte ich sonst noch sehr viel mehr Geld mit der Aktie machen können als ich es ohnehin habe. Generell glaube ich inzwischen, dass an den Anschuldigung der "Financial Times" gegenüber Wirecard tatsächlich wenig dran ist.
Nichtsdestotrotz ist eine gewisse Kritik an Management und Unternehmen durchaus berechtigt. So musste Wirecard bekanntlich kleinere Verfehlungen einräumen. Zudem ist das Unternehmen in der Vergangenheit nicht immer fair mit Kritikern umgegangen. Zu guter Letzt erscheint mir der Konzern, gerade auch für einen DAX-Konzern, zu intransparent. Von dem Shortverbot der BaFin, für das Wirecard selbst wohl wenig kann, möchte ich gar nicht erst anfangen.
Vorgelegte Quartalszahlen, wie immer, besser als erwartet!
Doch lassen wir die Vergangenheit ruhen und hoffen, dass das Management um CEO Dr. Markus Braun die richtigen Schlüsse daraus gezogen hat. Denn die Gegenwart sieht sehr gut aus. So meldete Wirecard heute früh seine aktuellen Geschäftszahlen – und schnitt natürlich, wie immer, besser als erwartet ab. So stieg der Konzernumsatz im ersten Halbjahr 2019 um beeindruckende +36,7% auf knapp 1,21 Mrd. Euro. Besonders positiv dabei war, dass es im zweiten Quartal 2019 zu einer Beschleunigung des Umsatzwachstums auf +37,4% kam.
Dementsprechend verbesserte sich auch das operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) im ersten Halbjahr 2019 um +35,8% auf 342,1 Mio. Euro. Hier kam es in Q2/2019 jedoch zu einer leichten Abschwächung des Wachstums auf "nur" noch +35,6%. Dennoch lag der Gewinn je Aktie im ersten Halbjahr 2019 letzten Endes mit 1,92 Euro (ca. +51%) deutlich über den Konsensschätzungen der Analysten.
Folglich hob CEO Dr. Markus Braun auch die eigenen Prognosen, ebenfalls wie gewohnt, weiter an. So soll das EBITDA im laufenden Geschäftsjahr am Ende zwischen 765 und 815 Mio. Euro anstatt wie bisher prognostiziert zwischen 760 und 810 Mio. Euro liegen. Auch auf längere Sicht möchte man noch stärker wachsen, so dass die Umsatzprognose für 2020e von bisher 3,0 auf nunmehr 3,2 Mrd. Euro angehoben wurde. Die neuen Prognosen basieren dabei auch auf der Annahme, dass man mit Hilfe des Partners einfacher neue Kunden gewinnen kann.
Aktie trotz "Beat and Raise" im Minus, woran liegt das?
Firmenlenker Dr. Markus Braun stuft die neuen, angehobenen Prognosen dabei immer noch als recht konservativ ein. Wir haben es hier also, wie die Amerikaner sagen würden, mit einem klassischen "Beat and Raise" zu tun, also einer Übertreffung der eigenen Prognosen im bisherigen Jahresverlauf sowie einer Anhebung der eigenen Prognosen für das Gesamtjahr sowie das folgende Geschäftsjahr.
Dies ist eigentlich der Stoff aus dem die Träume von wachstumsorientierten Anlegern sind. Trotzdem kann die Aktie von Wirecard heute nicht steigen, vielmehr verzeichnet sie sogar leichte Kursverluste. Kein Wunder, dass da die Frage aufkommt woran das wohl liegt. Nun, zum Einen haben wir derzeit natürlich kein besonders gutes Marktumfeld, so dass dieses die Aktie sicherlich auch belastet.
Darüber hinaus wurde zuletzt ein Anstieg der Shortpositionen verzeichnet, was sicherlich manchen Anleger verschreckt. Nicht, dass es noch zu einer erneuten Short-Attacke kommt. Der wichtigste Grund dürfte jedoch sein, dass einige Anleger wirklich enttäuscht sind. Zum Einen davon, dass sich zwar das Umsatzwachstum in Q2/2019 beschleunigt hat, das Gewinnwachstum aber nicht Schritt halten konnte. Zum Anderen aber auch, weil zwar die Prognosen durch das Management erneut angehoben wurden, dieses Mal jedoch eher homöopathisch.
Aktie bietet derzeit eine gute Kaufgelegenheit
Letztlich möchten Sie jedoch natürlich wissen, ob man die Aktie jetzt kaufen sollte oder nicht? Charttechnisch ist die Lage sehr klar. Noch befindet sich der Titel in einer Seitwärtsbewegung, erst mit einem Kurssprung über 155 Euro würde hier ein Kaufsignal mit Kursziel bis zu 200 Euro generiert. Insofern ist sie rein charttechnisch auch nur eine Halteposition, was darauf hindeutet, dass man als Anleger sicherlich noch ein wenig Geduld brauchen wird.
Fundamental dagegen spricht viel für einen Kauf. Denn auf Basis der neuen Umsatz- und Gewinnprognosen liegt das KUV 2020e bei ca. 5,7 sowie das KGV 2020e bei ca. 28 (geschätzt). Demgegenüber steht jedoch zuletzt ein durchschnittliches Umsatzwachstum von ca. +32,1% sowie ein durchschnittliches Gewinnwachstum von knapp +25%. Demnach wäre eine Bewertung bis zu einem KGV von 50 (was einem PEG von zwei entspräche) angemessen.
Bleiben aber auch wir mal konservativ und kalkulieren nur mit einem KGV 2020e von 35. Dann läge der fundamental faire Wert des Unternehmens bei bis zu 22,75 Mrd. Euro. Dies wiederum entspricht einem Aktienkurs von rund 185 Euro. Da auch das charttechnische Kursziel, nach einem Ausbruch der Aktie über die Marke von 155 Euro in diesem Bereich anzusiedeln wäre, passen auch hier das Ergebnis der fundamentalen und der charttechnischen Analyse mal wieder perfekt zusammen!