Wirecard: Fundamental günstig, charttechnisch kritisch
Die Aktie von Wirecard (WKN: 747206) geriet zuletzt noch einmal durch einen kritischen Bericht der britischen "Financial Times" unter Abgabedruck. Bereits zu Jahresbeginn hatten die beiden Autoren Dan McCrum und Stefania Palma die Aktie mit mehreren kritischen Berichten unter starken Abgabedruck gebracht.
Letztlich ergab eine Untersuchung der Vorwürfe durch eine von Wirecard beauftragte Anwaltskanzlei, dass es zwar tatsächlich Unregelmäßigkeiten gab. Dabei handelte es sich jedoch um vergleichsweise kleine Verfehlungen, so dass sich die Aktie wieder erholen konnte.
Zuletzt war es dann einige Wochen, um nicht zu schreiben Monate, sehr ruhig um Wirecard geworden. Für Vertrauen in Management und Unternehmen sorgte dabei natürlich auch der Einstieg der japanischen Softbank in Wirecard. Zumal dieser zu neuen, interessanten Kooperationen (mit anderen Beteiligungen von Softbank wie der AUTO1 Group (bekannt durch WirKaufenDeinAuto)) führte. Ferner gehen Anleger davon aus, dass die Topmanager von Softbank die Bilanzen von Wirecard vor dem Einstieg auf Herz und Nieren überprüft haben.
Doch zuletzt geriet eine andere wichtige Softbank-Beteiligung, nämlich We Company mit der Tochtergesellschaft WeWork, stark unter Druck, was der Reputation von Softbank nicht gerade gut getan hat. Zudem will eine, von der "Financial Times" beauftragte, britische Anwaltskanzlei herausgefunden haben, dass es keinerlei Zusammenarbeit der beiden eingangs genannten Autoren mit irgendwelchen Spekulanten ("Shortsellern") gegeben habe. Vielleicht ließ auch dieser "Freispruch" Dan McCrum wieder mutiger werden, was zu dem angesprochenen Artikel führte.
Ermittlungen in alle Richtungen
Aufgrund der negativen Berichte sowie der damit verbundenen Kursrückgänge hat Wirecard selbst die "Financial Times" sowie deren Autoren Dan McCrum und Stefania Palma angezeigt. Daher läuft aktuell in Deutschland ein entsprechendes Ermittlungsverfahren, dass von der Staatsanwaltschaft in München geführt wird. Obwohl die Behörden seit einigen Monaten ermitteln, ist bisher noch nichts dabei herausgekommen. Allerdings mahlen die Mühlen der Justiz bekanntlich sehr langsam – und was nicht ist, kann immer noch werden.
Auf der anderen Seite haben aber, auf Basis der Medienberichte, die Behörden in Asien, konkret in Singapur, ebenfalls Ermittlungen eingeleitet. In diesem Fall aber wird gegen Wirecard respektive führende Mitarbeiter des Unternehmens ermittelt. Im Mittelpunkt stand und steht dabei stets ein gewisser Edo Kurniawan, der inzwischen jedoch wohl nicht mehr für das Unternehmen arbeitet. Auch interessant zu erfahren wäre, wer der Whistleblower ist, der die "Financial Times" stets mit wichtigen Dokumenten versorgt, deren Authentizität Wirecard bis dato auch nie angezweifelt hat.
Die Aktie war, ist und bleibt eine Glaubensfrage!
Letztlich führt diese ganze Gemengelage dazu, dass die Aktie eine einzige Glaubensfrage darstellt. Wer den kritischen Medienberichten der "Financial Times" Glauben schenkt, sollte daher die Finger von dem Papier lassen. Wer dagegen auf Wirecard sowie das Management um CEO Markus Braun vertraut, sollte die Aktie gerade an solchen Absturztagen wie zuletzt einsammeln. Denn stimmen die vorgelegten Geschäftszahlen, ist die Aktie inzwischen ein Schnäppchen und Kursziele von 200 Euro mittelfristig erreichbar.
Wenn aber nicht, droht der totale Absturz wie seinerzeit bei MLP. Die Wirtschaftsprüfer, auf die sich die Analysten berufen, sind dabei keine große Hilfe. So entdeckten diese weder den Betrugsfall ComROAD am Neuen Markt noch die Vorgänge um Enron. Insofern wäre es auch durchaus denkbar, dass Wirecard die eigenen Wirtschaftsprüfer getäuscht hat, was ja letztlich der Vorwurf der "Financial Times" ist. Ein mir bekannter ehemaliger Bankangestellter, der viel mit Wirecard zu tun hatte, glaubt indes nicht an Bilanzmanipulationen, was er auch gut begründen konnte.
Denn seiner Meinung nach wird das Unternehmen – bewusst oder unbewusst – von einigen Kriminellen ("Clans") zur Geldwäsche genutzt. Wenn es bei Wirecard tatsächlich zu Bilanzmanipulationen gekommen sei, die die "Financial Times" aufdecke, würde dies die Ermittlungsbehörden auf den Plan rufen und somit diese Geschäfte gefährden. Vielleicht sollten Dan McCrum und Stefania Palma daher mal in diese Richtung denken und "ermitteln". Wobei ich persönlich niemandem, auch und erst Recht Wirecard und den dortigen Verantwortlichen, etwas unterstellen möchte!
Charttechnisches Verkaufssignal steht, aber...
Da wir die ganze fundamentale Gemengelage nur schwierig beurteilen können, ziehen wir uns am besten auf die charttechnische Lage der Aktie zurück. Denn aus charttechnischer Sicht war und ist die Lage relativ klar. Der charttechnische Ausbruch über die Marke 160/165 Euro hat zuletzt wiederholt nicht geklappt, so dass kein charttechnisches Verkaufssignal generiert werden konnte. Aufgrund der negativen Berichterstattung der "Financial Times" fiel die Aktie zuletzt allerdings unter das untere Ende der Seitwärtsrange bei 125 Euro.
Dadurch hat sie nun ein charttechnisches Verkaufssignal mit erstem Kursziel 110 Euro generiert, was ja auch schon angesteuert wurde. Kann sie die Marke von 110 Euro nun verteidigen und zeitnah wieder über 125 Euro klettern, würde sich die charttechnische Lage jedoch umgehend wieder deutlich entspannen. Fällt sie dagegen auch noch unter 110 Euro zurück, liegen die nächsten Kursziele bei 90 Euro sowie später 70-75 Euro. Alles in allem ist der Titel somit aus rein charttechnischer Sicht zurzeit eine Halteposition mit Stoppkurs knapp unterhalb von 110 Euro.